Von der kleinen Berliner Hinterhofwerkstatt zur Weltfirma – nur wenige Unternehmen können auf eine so lange und erfolgreiche Historie wie Siemens zurückblicken. Was vielen seiner Vorgänger noch misslungen ist, gelang nun Joe Kaeser. Deutschlands Vorzeigeunternehmen konnte seinen erbitterten Rivalen und einstmals wertvollstes Unternehmen der Welt und Gründungsmitglied im Dow Jones Industrial Average Index – General Electric – vor kurzem im Unternehmenswert überholen. Für General Electric kommt es noch bitterer, nach über 100 Jahren Indexzugehörigkeit muss das Unternehmen im Dow Jones Index einer Drogeriekette weichen. Siemens surft hingegen in Deutschland derzeit auf einer Erfolgswelle und ist das zweitwertvollste deutsche Unternehmen, hinter SAP.
Doch zunächst zurück zur Hinterhofwerkstatt. Mit der Konstruktion des Zeigertelegrafen legt Werner von Siemens 1847 den Grundstein für das heutige Unternehmen. Für die Herstellung seines Apparats gründet Werner von Siemens mit dem Feinmechaniker Johann Georg Halske die „Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske“. Die Zehn-Mann-Werkstatt nimmt am 12. Oktober 1847 in einem Berliner Hinterhof in der Schöneberger Straße 19 den Betrieb auf. 1848 erhält Siemens den Auftrag, die erste Ferntelegrafenverbindung Europas zu bauen. Die rund 670 Kilometer lange, weitgehend unterirdisch verlaufende Linie zwischen Berlin und Frankfurt am Main geht im Februar 1849 in Betrieb. Im März desselben Jahres wird Friedrich Wilhelm IV. zum Deutschen Kaiser gewählt. Dank der neuen Kommunikationstechnik wird die Nachricht aus Frankfurt innerhalb von nur einer Stunde in Berlin bekannt. Kurze Zeit später expandiert Siemens nach Russland und baut eine Telegrafenleitung von Warschau bis nach Sankt Petersburg, wo Carl von Siemens eine Niederlassung aufbaute. 1858 folgt eine weitere Niederlassung in London, wo später eine Kabelfabrik hinzukommt. Von dort begann 1870 der Bau eines Überseekabels nach Amerika, das das bis dahin bestehende Monopol aufbrechen sollte, 1875 wurde die Telegrafenlinie in Betrieb genommen und konnte durch ihre bessere Qualität überzeugen.
Zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften beteiligt Siemens bereits 1858 seine Mitarbeiter am Unternehmenserfolg, was auch heute noch der Fall ist, so werden Mitarbeiter-Aktien zu vergünstigten Konditionen ausgegeben. Damit ist Siemens Vorreiter in Sachen Mitarbeiterbeteiligung und sehr erfolgreich damit, der größte Teil nimmt das Angebot an, es gilt als eines der erfolgreichsten Modelle in Deutschland. 1872 gibt Werner von Siemens die Gründung einer Pensions-, Witwen- und Waisenkasse für die Beschäftigten bekannt. Die Arbeiter haben von nun an Anspruch auf Zahlung einer Pension, deren Höhe sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, der Vorläufer der betrieblichen Altersversorgung sozusagen. 1873 führt Siemens & Halske in Berlin den Neun-Stunden-Arbeitstag ein, 1891 wird das tägliche Arbeitspensum auf achteinhalb Stunden reduziert.
1866 gelingt Tüftler Werner von Siemens seine wohl bedeutendste Leistung. Er entdeckt das dynamoelektrische Prinzip und konstruiert den Wegbereiter moderner Großgeneratoren: die Dynamomaschine. 1875 ist der Dynamo serienreif. Die Möglichkeit, elektrische Energie in großen Mengen wirtschaftlich erzeugen und verteilen zu können, beflügelt die gesamte Wirtschaft. Erste Anwendungsfelder sind die elektrische Beleuchtung und der Antrieb mit Elektromotoren. 1879 wird das erste Privathaus Deutschlands elektrisch beleuchtet. Wenige Wochen später präsentiert Siemens & Halske die erste elektrische Eisenbahn der Welt. Für internationales Prestige sorgt der Bau einer Telegrafenleitung bis nach Indien, was die Informationsübermittlung zwischen Indien und Europa von 30 Tagen auf rund 30 Minuten verkürzt.
1890 übergibt Werner von Siemens die Leitung an seinen Bruder Carl und seine Söhne Arnold und Wilhelm, ehe er 1892 verstirbt. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt Siemens & Halske bereits 6500 Mitarbeiter. Zu dieser Zeit beginnt die Expansion nach Südafrika wo man am Goldrausch mitverdienen möchte. In der Nähe von Johannesburg errichtet Siemens mehrere Drehstrom-Kraftwerke, die die Goldminen und aufstrebenden Goldgräberstädte über Hochspannungsleitungen mit Strom versorgen. 1897 wird Siemens & Halske in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, um sich leichter im kapitalintensiven Geschäftsfeld finanzieren zu können. 1903 übernimmt Siemens den Konkurrenten Schuckert aus Nürnberg, um sich so besser im Stark- und Schwachstrom aufzustellen. Das starke Wachstum führt letztlich dazu, dass Siemens um die Jahrhundertwende beginnt, einen eigenen Stadtteil in Berlin Spandau für sich und seine Mitarbeiter auf- und ausbaut, heute auch bekannt als Siemensstadt mit der prägnanten Turmuhr.
Im ersten Weltkrieg ist Siemens wie viele Firmen in die Rüstungsproduktion eingebunden, neben der Fernsprechtechnik und Scheinwerfern, wird auch die Entwicklung von Flugzeugmotoren vorangetrieben. Nach dem Kriegsende verliert Siemens nahezu alle Auslandstochtergesellschaft und –patente, und damit einen Großteil seiner Wirtschaftskraft. Fortan will man sich auf die Elektrotechnik konzentrieren. 1919 gründet man zusammen mit der Auerbachgesellschaft und AEG die OSRAM GmbH KG, um die Kräfte der Glühlampenherstellung zu bündeln. Nachdem die ersten Fernsprechleitungen überwiegend Freileitungen waren, und damit sehr störanfällig, begann Siemens damit durch eine Art Verstärker die Gesprächsqualität zu verbessern und immer mehr Leitungen unterirdisch zu verlegen. Nach und nach werden auch die alten Geschäftsbeziehungen ins Ausland wieder aufgenommen. 1925 bis 1929 verantwortet Siemens als Generalunternehmer den Bau des Wasserkraftwerkes Ardnacrusha am Fluß Shannon in Irland, wo drei 30MW-Generatoren Strom erzeugen.
Siemens Einstieg in die Medizintechnik begann 1924 mit der Beteiligung an Reiniger, Gebbert & Schall, um diese später ganz zu integrieren und als Siemens-Reiniger-Werke fortzuführen.
Im zweiten Weltkrieg werden ein Großteil der Industrieanlagen von Siemens zerstört, noch nutzbaren Anlagen werden von der Sowjetarmee abgebaut und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion transportiert. Siemens Patente und Namensrechte werden annulliert und freigegeben. Die Wiederauferstehung von Siemens startet vor allem aus Bayern heraus, aus Hof (Schuckert Werke), Erlangen (Reiniger-Werke) und München, wo der neue Hauptsitz von Siemens & Halske entsteht, und weil die Lage in Berlin problematisch bleibt. Nachdem die Alliierten die Handelsbeschränkungen lockern, kauft Siemens Produktionsgesellschaften sowie Patente und Namensrechte zurück. Man kann erste Großaufträge in Argentinien und Saudi Arabien ans Land ziehen, der Anteil an Auslandsgeschäften erreicht 1956 bereits wieder 25%. 1957 steigt man in die Digitaltechnik ein und baut unter dem Namen SIMATIC das erste transistorgesteuerte Steuerungssystem und legt damit den Grundstein für die elektronische Industrieautomatisierung. In der Wirtschaftswunderzeit steigt auch die Nachfrage nach den Siemens Konsumgütern wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Radios und Fernsehgeräte. Zunächst werden diese in der Siemens Electrogeräte AG gebündelt, später durch den zunehmenden Wettbewerb eine Kooperation mit Bosch eingegangen, die letztlich 1967 im Gemeinschaftsunternehmen Bosch-Siemens-Hausgeräte GmbH mündet. 2015 gehen die Siemens- Anteile komplett an Bosch über. Aus Siemens & Halske, Siemens Schuckertwerke und Siemens Reiniger Werke wird 1966 die Siemens AG, mit sechs Geschäftsbereichen: Bauelemente, Datentechnik, Energietechnik, Installationstechnik, Nachrichtentechnik und Medizintechnik.
Die Globalisierung und der technische Fortschritt bringen Siemens dazu, immer mehr in die Forschung zu investieren. So entsteht ab 1975 in München-Perlach ein neues Forschungszentrum, die Denkfabrik für Datentechnik, und leitet den Wandel vom Elektro- zum Elektronikkonzern ein. Mit einem großen Kraftakt und in einer Kooperation zunächst mit Philipps später mit Toshiba steigt Siemens in die Micro-Chips-Produktion ein, ab 1987 werden in Regensburg 1Mbit-Chips hergestellt. Später wird das Geschäft als Infineon ausgelagert und an den Neuen Markt an die Börse gebracht. 1990 wird die Nixdorf Computer AG übernommen, zunächst als SNI weitergeführt, später an Fujitsu weitergereicht. Nachdem Heinrich von Pierer in den 90er Jahren Siemens ein Effizienzprogramm auferlegt hatte und mehr in Richtung Kapitalmarkt ausgerichtet hatte, ging sein Nachfolger Klaus Kleinfeld wieder mehr in Richtung Zukunftsorientierung und richtete Siemens auf die Säulen Energie, Infrastruktur und Gesundheit aus. Zu diesem Zweck richtete Kleinfeld das Unternehmen auf die drei Megatrends der Zeit aus: die Konzentration von Menschen in Städten, die Zunahme der Weltbevölkerung im Zeichen des demografischen Wandels und der sich beschleunigende Klimawandel. Diese Trends decken die zentralen Siemens-Arbeitsfelder Energie und Umwelt, Automatisierung und Infrastruktur im öffentlichen und privaten Bereich sowie Gesundheit ab. Auch die Akquisitionen orientieren sich daran. So verstärkte sich das Unternehmen im Bereich Wasserversorgung mit der amerikanischen Gesellschaft USFilter, im Energiebereich mit dem Weltmarktführer für Offshore-Windkraftanlagen Bonus Energy, im Industriesegment mit dem Getriebehersteller Flender und in der Medizintechnik mit CTI Molecular Imaging. Auch im Bereich Digitalisierung und Automatisierung blieb Siemens nicht untätig und kaufte die amerikanische UGS Corp., einen Spezialisten für Produktdatenmanagement, Design und Simulation von Fertigungsprozessen. Mit der Akquisition von LMS, Spezialist für mechanische Simulation, CD-adapco, ein Spezialist für Strömungsmechanik und Mentor Graphics, ein Spezialist für Halbleiterkonstruktion, kommt Siemens der Idee einer Digitalen Fabrik immer näher.
2013 wird Joe Keaser neuer Vorstandsvorsitzender und stellt seine Vision 2020 vor. Mit ihr soll sich auf die Wachstumsfelder Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung konzentriert werden. 2014 erwirbt man von Rolls Royce das Geschäft mit aero-derivativen Gasturbinen und Kompressoren, 2015 mit Dresser-Rand den US-Weltmarktführer für im Bereich Kompressoren, Dampf-und Gasturbinen. 2016 startet Siemens mit next47 eine Innovationsinitiative mit der der Startups unterstützt werden sollen und Potentiale für Siemens entdeckt werden sollen. Daneben geht der Konzernumbau weiter, die wettbewerbsintensive Windkraftsparte fusioniert zu Siemens Gamesa, der Turnaround und die Marktführerschaft wird bis 2020 angestrebt, allerdings werden wohl auch 6000 Arbeitsplätze abgebaut. Vor kurzem wurde die Fusion der Eisenbahnsparte von Siemens und der französischen Alstom besiegelt, mit mehr als 15Milliarden Umsatz und über 60000 Mitarbeitern entsteht hier ein echtes Schwergewicht. Die Zentrale für Schienenfahrzeuge wird in Paris angesiedelt, die für Mobilitätslösungen in Berlin, die betroffenen Mitarbeiter erhalten eine vierjährige Jobgarantie. Nicht ganz rund läuft es in der Sparte Power & Gas, die teils umstrittene deutsche bzw. europäische Umweltpolitik und das Embargo gegen Russland führten zu starken Auftragsrückgängen. Die eigentlich notwendige Kapazitätsanpassung wird von Gewerkschaften und von der Politik scheinheilig blockiert, obwohl sie ja an der Situation nicht ganz unschuldig sind. So bleibt die Zukunft der Siemens Kraftwerkssparte weiter offen, inzwischen wird sogar über einen Verkauf nachgedacht, ein möglicher Käufer könnte ausgerechnet der langjährige Rivale General Electric werden. Deutlich besser läuft es für die Medizintechniksparte, die kürzlich als Siemens Healthineers furios an der Börse durchgestartet ist. In einem unruhigen Börsenumfeld konnte die Healthineers Aktie mehr als 20 Prozent seit dem Börsengang zulegen. Besonders stark ist man bei Röntgengeräten, Computertomographen vertreten, aber auch bei der Labortechnik und modernen eHealth-Lösungen.
Im Geschäftsjahr 2017, das am 30. September 2017 endete, erzielte Siemens einen Umsatz von 83 Milliarden Euro und einen Gewinn nach Steuern von 6,2 Milliarden Euro und hatte weltweit rund 370.000 Beschäftigte. Gut die Hälfte des Gewinns wurde als Dividende an die Aktionäre verteilt, 3,70Euro je Aktie. Davon profitierten auch die zahlreichen Mitarbeiter-Aktionäre, mehr als die Hälfte der Belegschaft nutzt das Angebot Mitarbeiter-Aktien zu beziehen, und es zählt damit zu den erfolgreichsten Mitarbeiterbeteiligungsmodellen in Deutschland. Vorstandschef Joe Keaser würde das erfolgreiche Modell der Mitarbeiter-Aktie gerne mehr in Deutschland verbreiten, wird aber von Politikern und Gewerkschaftern ausgebremst. Stattdessen arbeitet die Politik bei der Altersvorsorge an neuen Zwangsrentenmodellen. Das halten wir für falsch, zum einen ist Zwang eine Entmündigung, und zum anderen ist ein Vermögensaufbau über eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmensgewinnen die bessere Lösung.
Die Deutschlandrente ist via Indexfonds in Siemens investiert. Die Kurzinformation ist jedoch nicht als Kauf- oder Verkaufsempfehlung zu verstehen, sondern dient lediglich zur allgemeinen Information.
(Quelle: Siemens, eigene Recherchen)